Nach Budapest geflohen, wo er als „Wallenbergs Bote“ mithalf, zahllosen Juden das Leben zu retten.

11. März 1938, 19:50 Uhr. Der zwölfjährige Jonny Moser sitzt in Parndorf vor dem Radiogerät. „Als sich Bundeskanzler Schuschnigg mit den Worten „Gott schütze Österreich“ verabschiedete, wussten wir, es kommen schlechte Zeiten.“ Jonny kam 1925 als Sohn einer Jüdin und eines nicht jüdischen Vaters zur Welt. Seine Eltern besaßen in Parndorf ein gut gehendes Gemischtwarengeschäft. Wie viele Juden im ganzen Burgenland gehörte auch Familie Moser zu den alteingesessensten Bewohnern. „Die burgenländischen Juden waren seit Jahrhunderten mit den anderen Volksgruppen auf das Engste verbunden“, sagt Jonny Moser. „Aber ab 13. März kamen keine Kunden mehr zu uns.“

Gauleiter Tobias Portschy fühlte sich durch diese enge Verbundenheit der jüdischen Bevölkerung im Burgenland regelrecht angespornt: „Wir werden die ‚Judenfrage’ im Burgenland mit nationalsozialistischer Konsequenz lösen“. Und Portschy hielt sein Wort. Schon im Oktober 1938 meldete er dem Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, Adolf Eichmann, dem auch der zweifelhafte Ruhm des ‚Spezialisten für die Judenfrage’ anhaftete: „Es gibt keine jüdischen Kultusgemeinden mehr im Burgenland!“ Zu Jahresbeginn 1938 hatten noch etwa 3.800 jüdische Mitbürger im Burgenland gelebt…

Jonny Moser floh ohne Papiere nach Budapest, und lebte dort im Untergrund. Im Sommer 1941 schien eine Ausreise nach Amerika möglich, doch aufgrund der fehlenden Einreisepapiere wartete auf Moser nicht die Freiheit in Amerika, sondern ein Internierungslager in Budapest. Eingesperrt mit seiner Familie blieb er dort bis 1944 und sollte mit dem letzten Zug nach Auschwitz deportiert werden.

Als sich die Juden zum Abtransport versammelten, zeigte sich, wie unglaublich schmal die Grenze zwischen Leben und Tod in dieser Zeit war. „Dein Dialekt gefällt mir“, sagte ein Bewacher zu Moser und forderte ihn auf, sich von der großen Gruppe zu trennen. Von der großen Gruppe mit Kindern, Frauen und Männern, die kurz danach nach Auschwitz gebracht wurden und dort im Gas erstickten.

Die Begegnung mit Raoul Wallenberg
Zurück im Polizeigefangenenhaus kamen Jonny Moser erste Widerstandshandlungen der ungarischen Verwaltungs-behörden zu Gute, überraschend erhielt er Papiere, die ihn als ‚Nicht-Juden’ auswiesen. „Obwohl die Männer die Wahrheit kannten“, ist sich Moser noch heute sicher. Vier Wochen später wurde er entlassen und traf schließlich am Samstag, dem 10. August 1944, Raoul Wallenberg: „Bekannte wollten ihn mir unbedingt vorstellen, er war zweiter Attaché der schwedischen Botschaft. Acht Stunden wartete ich auf ihn.“ Raoul Wallenberg war Anfang 30 und cirka 1,80 Meter groß, schlank und sehr eitel. Er kämmte sein dunkelblondes Haar von der linken Seite über den Kopf, um die vorblitzende Kopfhaut zu verdecken. Das ovale Gesicht war immer glatt rasiert. „Wallenberg war ein Gentleman. Die Frauen in Budapest hatten ihn gern“, weiß Jonny Moser.

Ein Blatt Papier, das Leben rettete
Moser fand rasch das Vertrauen Wallenbergs, nur vier Tage später legte er der Fremdenpolizei einen druckfrischen schwedischen Schutzpass vor. Vom Juden zum Nicht-Juden und schließlich zum Schweden!

1.000 Pengö – das entsprach vier Monatsgehältern eines mittleren Beamten – verdiente Moser als Wallenbergs Angestellter. Außerdem durfte seine ganze Familie im Gebäude der schwedischen Botschaft wohnen. Verlässlich erfüllte Moser seine Aufgaben als Türsteher, Schreibkraft und schließlich Bote. Diese Tätigkeit führte ihn oft ins Außenministerium, wo er durch sein selbstbewusstes Auftreten („Wo ist Ihr Chef? Ich will sofort Ihren Chef sprechen!“) zumeist bekam, was er wollte. 5.300 Schutzpässe sollten es schließlich werden, die Wallenberg ausstellte. Ein Blatt Papier, das Leben rettete. Außerdem bot Raoul Wallenberg Tausenden Verfolgten in mehr als 50 Häusern in Budapest Unterschlupf und versorgte sie mit Lebensmitteln. Als die Rote Armee vor Budapest stand, begannen die Deutschen, die Juden in Gruppen von rund 500 Personen zur österreichischen Grenze marschieren zu lassen.

„Wir haben an einem Sonntagabend im November davon gehört und sind sofort nach Hegyeshalom bei Nickelsdorf gefahren. Als wir den Bahnhof erreichten, waren wir schockiert. Die Menschen, die dort ankamen, waren verdreckt, ausgehungert, völlig ausgemergelt.“

Wallenberg begriff sofort, dass die Juden in Lebensgefahr waren, sprang auf die Plattformen der Waggons und rief: „Sind unter Ihnen von Schweden geschützte Juden?“ Nur vereinzelte, zaghafte Rufe folgten. Daraufhin sprang auch Jonny Moser auf die Plattform und schrie dasselbe auf Ungarisch: „Kezeket fel!“ Woraufhin das Echo gewaltig war.

„Wir fragten jeden nach seinem Namen und gaben den Pfeilkreuzler-Bewachern vor, eine Namensliste zu prüfen. In Wahrheit war das Blatt leer, das ich Wallenberg aus seiner Aktentasche reichte. Er tat so, als ob er auf diesem leeren Blatt Namen abhakte.“

Nach einigen Stunden hatten Wallenberg und Moser so einigen Juden das Leben gerettet und nahmen sie in Lastwagen sofort mit zurück nach Budapest. Die Aktion wurde von Mitarbeitern Wallenbergs und Vertretern anderer Staaten weitergeführt. Auf diese Weise konnten unzählige Juden dem Tod entrissen werden.

Eine weitere dramatische Geschichte ist Jonny Moser in Erinnerung geblieben: „An einem Samstag um 8 Uhr erhielt ich einen Anruf, dass um 12 Uhr drei jüdische Arbeitsdienstsoldaten vor dem Militärgericht zum Tode verurteilt werden.“ Moser bereitete drei Schutzpässe vor, die jedoch ohne die Unterschrift des Botschafters nicht gültig waren. Dieser befand sich an diesem Tag nicht im Büro, und niemand wusste, wo er sein könnte.

„Auf der Suche nach den rettenden Unterschriften sind wir durch die halbe Stadt gerast. Die Zeit wurde immer knapper“, erinnert sich Moser an die dramatischen Stunden. Um 11 Uhr schließlich war der Botschafter gefunden.

„Jetzt müss’ ma aber sausen“, sagte Moser zum Fahrer. 15 Minuten vor der Verkündung der Todesurteile erreichte Moser das Militärgericht, legte die Schutzpässe vor und rettete die drei Angeklagten vor dem sicheren Tod.

Am 13. Jänner 1945 sahen sich Jonny Moser und Raoul Wallenberg zum letzten Mal. Im Zentralbüro der schwedischen Gesandtschaft in Budapest versprach Raoul Wallenberg, mit der Roten Armee aufnehmen zu wollen. Er wollte den Schutz der schwedischen Bürger sowie der Juden unter schwedischem Schutz sicherstellen.

Wallenberg verschwand.

Die Zeit nach 1945
Jonny Moser kam 1945 nach Wien zurück, studierte, arbeitete dann im KZ-Verband und betrieb nach seinem Studium bis 1996 eine Trafik. Noch heute ist er Mitglied des Vorstands des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands und Präsidiumsmitglied der Wiener Urania.

Das Haus in Parndorf verkaufte die Familie.

„Vor ein paar Jahren erhielt ich einen Anruf. Jemand stellte sich mir als Präsident der Wallenberg-Gesellschaft in Australien vor. Dann sagte der Mann, er sei einer der drei gewesen, die damals vor dem Militärgericht standen und 15 Minuten vor der Urteilsverkündung von mir den Schutzpass bekommen hatten.“